Wir neigen dazu, Geschichten, Märchen, Sagen, Mythologien und Parabeln als Domäne der Kinder zu betrachten. Ihnen haftet etwas Unzeitgemäßes an. Die Geschichten erzählende Großmutter im westlichen Abendland scheint bald ebenso der Vergangenheit anzugehören wie der professionelle Geschichtenerzähler des Orients. Diese Entwicklung mag etwas damit zu tun haben, dass Geschichten und Mythologien weniger den Verstand, die klare Logik und damit das Leistungsprinzip als vielmehr Intuition und Phantasie ansprechen.
In der Erziehung verwandte man traditionsgemäß Geschichten. Sie waren Vehikel, mit deren Hilfe Wertvorstellungen, moralische Auffassungen und Verhaltensmodelle vermittelt und im Bewusstsein der Menschen verankert wurden. Dazu eigneten sie sich vor allem wegen ihres großen Unterhaltungswerts. Sie waren der Teelöffel Zucker, der selbst bittere Moral versüßte und interessant machte.
Die ‚Moral‘ der Geschichten ist in unterschiedlicher Weise verschlüsselt: Mal ist sie klar und deutlich auf den ersten Blick zu erkennen, mal erscheint sie kaschiert und nur als Andeutung.
Zeitweilig kommen wir um Wissenschaft, Mathematik und gelehrte Diskussion nicht herum,
mit deren Hilfe sich das menschliche Bewusstsein weiterentwickelt.
Zeitweilig brauchen wir aber auch Gedichte, das Schachspiel und Geschichten,
an denen unser Gemüt Freude und Erfrischung findet.
nach Saadi
© Nossrat Peseschkian in „Der Kaufmann und der Papagei“
Bild
Keine Kommentare